Markus Rottmann

Black Island


Gebundene Ausgabe
56 Seiten, 11.6 x 18 cm
32 Bildtafeln 

Illustration: THOMAS OTT
Text: MARKUS ROTTMANN
Gestaltung: HAMMER

Bestellen

Zum ersten Mal als Buch: Die 32 Bildtafeln der Tikis von BLACK ISLAND. Ein Kompendium insulanischen Grauens. In Schabkarton geschnitzt von THOMAS OTT. Mit umfassendem Geleitwort zu den psychotischen Tikifiguren, den Albtrauminseln der Südsee und Polynesiens bestgehütetem Familiengeheimnis. Die Hintergründe zu einer Kultur, von der sich alle wünschen, sie würde endlich untergehen. Gilt als Standardwerk des DARK HAWAII. Inklusive Darstellung der verschollen geglaubten Seekarte von Tikopia.

DIE BALLADE VON BLACK ISLAND

Wie ein dunkles La Paloma weht die Ballade von Black Island über die Inselwelt des Pazifischen Ozeans. Wo sie erklingt, verwelken die Blumenkränze, beginnt der Rum zu fliessen. Ein jeder kennt seine Strophe, doch keiner will sie singen. Nie will jemand auf Black Island gewesen sein, doch eines wissen alle: Dort lächelt kein Delphin mehr. Black Island ist eine Insel aus dem Raunen geboren, aus dem melodischen Flüstern, das einsetzt, wenn die Strandfeuer lange Schatten auf die Palmblätter werfen. Von Samoa bis Neuseeland dehnt sich dieser tropische Seufzer, von der Osterinsel bis nach Tahiti. Mit jeder Inselgruppe kommen neue Verse hinzu. Doch je mehr von Black Island die Runde macht, umso weniger scheint man darüber zu wissen. Eigentlich wie bei der Liebe. Nur ist alles, was sich auf Black Island abspielt, das genaue Gegenteil von Liebe.

(...) Je mehr Karten auftauchen, umso dichter wird der Nebel, in dem die wahre Black Island versinkt. Als Schatzinsel wäre sie perfekt. Geschützt durch ein genialisches Versteck: die Überfülle an Hinweisen. Es scheint, als ob eine ganze Kultur diesen Ort nicht finden will; und auch nicht will, dass jemand anderes ihn finden will. Wer sich aufmacht, die viel besungene Black Island zu entdecken, erhält mehr Antworten, als er hören will, und wird auf präzise Irrfahrt geschickt.

(...) und gerade die Tourismusindustrie auf Hawaii kann als Brandbeschleuniger der eigenen Überlieferung gesehen werden – zugunsten fremder, eskapistischer Südseevorstellungen. Doch keine Trauminsel ohne Untiefen. Früher oder später steigt in jedem Südseeparadies die Ballade von Black Island auf. Murmelnde Gesänge, wenn auf dem Parkplatz des Holiday Inn die Lichter verlöschen und der Wind die Fetzen einer alten Kultur umherweht.

 (...) Die Seekarte von Tikopia, die der Abbildung im vorliegenden Buch, Seite 55, als Vorlage diente und deren Original sich heute im Archiv des Völkerkundemuseums in Suva, Fidschi befindet, verliess Tikopia, die südlichste der abgelegenen Santa-Cruz-Inseln der Salomonen, an Bord eines hochseetüchtigen Auslegerkanus im ausgehenden 16. Jahrhundert - zusammen mit dem todgeweihten Fernando Esquivel. Nachdem man den Schiffbrüchigen halbtot am Ufer bei Matautu geborgen hatte, verköstigte man ihn mit Brotfrucht und Yamswurzel, liess ihn zu Kräften kommen, um ihn freundlich, aber bestimmt wieder aufs Meer hinauszuschicken.Sei   Seit Generationen sichert eine gnadenlose Geburtenkontrolle das Gleichgewicht der Ressourcen von Tikopia, und wer nur den Kindern des Erstgeborenen erlaubt, am Leben zu bleiben, der bedroht das ideale Bevölkerungsnullwachstum nicht durch angespülte Seeleute.

(...) Unmöglich, die Widersprüche aufzuheben, vielleicht sogar sinnlos, die eine wissende Stimme aus dem grossen polynesischen Chor heraushören zu wollen. Doch ist die Wahrheit nicht überhaupt die Gesamtheit aller über sie kursierenden Gerüchte?

 

 

DIE TIKIS VON BLACK ISLAND

(...) Die Black Island ist nur ein weiterer unscheinbarer Fleck wie tausend andere bewohnte oder namenlose Eilande im mare pacificum. Wären da nicht die Tikis, die diese Insel geradezu kontaminieren. 

(...) Sie stellen keine Götter dar oder verehrte Ahnen, und kein Polynesier würde sie sich freiwillig um den Hals binden. Die Tikis von Black Island stehen für die menschlichen Abgründe und Schatten, für den Hass, den Tod und die Niedertracht. Jede Figur ein Trauma, eine Besessenheit, ein neues Leiden. Wenn die Seelenqual nur gross genug ist, findet sich ihr geschnitztes Antlitz auf der Black Island wieder. Ein grausames Wunder, dass die Insel nicht längst in die Fluten gesunken ist unter dem Gewicht des hier versammelten Schreckens, dass kein Vulkan die Dämonenpest in den Himmel gespien hat. (Nicht wenige sehen hierin die Mahnung der Götter, sich nicht auf ihr ewigliches Aloha zu verlassen, sondern trotz verlässlich berauschender Sonnenaufgänge niemals nachzulassen mit Huldigung und Verehrung.)

«Die Tikis auf Black Island sind dein letzter Versuch, die inneren Dämonen zu bannen. Hack deine Albträume in Hartholz, bearbeite sie mit derselben Präzision, wie sie sich in deine Seele geschnitzt haben. Dann bring sie nach Black Island und vergrabe sie tief. Auf dass sie mit mächtigen Bannzaubern belegt vor sich hin rotten. Drastische Rituale sind beschrieben, manche eingeritzt in Höhlenwände, einige involvieren Menschenopfer. Dabei ist jede dieser Legenden nur eine weitere Erinnerung an all das, was man vergessen wollte.»

Matua Paku, tohunga tā moko (Stammestätowierer), Neuseeland

 (...) Eine der eher bizarren Darstellungen hört man auf dem einzigen Tondokument, das uns von Black Island berichtet, den Bändern von Pukapuka (Cook-Inseln), die im Nachlass des französischen Ethnologen Gilbert L’Heureux gefunden wurden. Der knisternde Singsang eines Insulaners hier im transkribierten Wortlaut: «Allein schon die Entsendung der Tikis nach Black Island. Das erste, bis oben beladene Boot wurde von einem Sturm in die Tiefe gerissen, das zweite fand man Monate später auf hoher See treibend, das irre Gelb in den Augen des Einzigen, der noch am Leben war, wird niemals vergessen gehen. Und schon gar nicht der Anblick seiner von ihm niedergemetzelten Kameraden. Man hat ihm Steine in den Bauch genäht und ihn den Wellen übergeben. Für die nächste Überfahrt fanden sich keine Freiwilligen mehr. Also brachen die Alten ihr Tabu, und das nächste Schiff hatte eine Besatzung aus lebenden Toten. Willenlose Körper, die, aus der Ferne durch böse Magie manipuliert, das Schiff steuerten. Nachdem sie ihre schlimme Fracht auf die Insel getragen hatten, sind nicht alle dem Ruf aufs Boot wieder gefolgt. Und so sollen ein paar von ihnen noch heute durch die Dschungel von Black Island trotten.» 

(...) Natürlich gibt es auch diejenigen, die in jeder Warnung eine Anziehung verspüren. Kommerzielle Schatzsucher, geächtet von Regierungen und Meeresarchäologen, sind nicht nur auf der Suche nach den Wracks der spanischen Silberflotte. Ihr maritimer Goldrausch richtet sich auch auf vermutete Schatzinseln. Josh Fisher, prominenter und berüchtigter Vertreter dieser Branche drückt es so aus: «Für jede Südseedepression gibt’s einen Tiki auf Black Island. Klar, und für jedes gebrochene Herz ein Zimmer im Heartbreak Hotel. Das ist doch alles Bullshit. Sigmund Freud im Baströckchen. Die ganze Südsee ist ein verlogenes Trugbild, war sie immer schon, Ablenkung und Täuschung, Rückzugsgebiet der karibischen Piraterie, gefälschte Seekarten, Marionetten-Gouverneure, der kokovorische Sonnenorden, jeder hier hat etwas zu verstecken. Je mehr sie mich von dieser Black Island abhalten wollen, desto sicherer werde ich sie finden. So ist das Gesetz meines Jobs.»

(...) Schon früh nach Einführung des Buchdrucks auf Tahiti im Jahre 1818 bemühte sich eine kleine Zeitungsdruckerei in Papeete um ein vollständiges Kompendium aller bis dahin beschriebenen Tikis des Schwarzen Eylandes. Leider fiel die gesamte Auflage noch vor ihrer Erscheinung den Flammen zum Opfer, ebenso die vom polynesischen Künstler Aifatu gefertigten Holzschnitte. Das Feuer, das sich von den Archiven aus auf das gesamte Gebäude ausbreitete, sprang schnell auf das Papierlager über und raffte neben einem deutschen Drucker, zwei Lokalreportern und einem Laufsittich, der als Redaktionsmaskottchen fungierte, auch den Geldgeber dahin. Lange Zeit blieb es still um die Tikis.

 

Tiki der originellen Menschenopfer
Eruptionen und heftige Beben lauern in der Tiefe.
Wenn dein innerer Kompass verrückt spielt, dann bist du auf direktem Kurs nach Black Island.
Zeugnis einer insulanischen Kultur, von der sich wirklich alle wünschen, sie würde endlich untergehen.
Jede Figur ein Trauma, eine Besessenheit, ein neues Leiden.
Tiki der treuen Traurigkeit